31 Jul Von Menschen in Seminaren
Die Seminarsituation
Es passiert. Gelegentlich – einmal, zweimal im Jahr; 1 bis 2 % all der Seminare eines Jahres. Viel oder wenig? Doch was tun, wenn es darum geht, Menschen zu erreichen, sie mitzunehmen auf dem Weg hin zu ihrer eigenen Erkenntnis?
Da sitzt eine Frau, ein Mann und irgendwie fordern sie dich. Doch zuerst ist es normal – der gesellschaftliche Durschnitt: Sie sind angenehm, freundlich, zugewandt, aufgeschlossen. Sie interessieren sich für das Thema, für das Neue, für das Unbekannte. Sie sind ihren anderen Kursteilnehmern gegenüber zugewandt. Sie beteiligen sich aktiv am Geschehen, hören zu, gehen auf Gesagtes ein, geben ihre Meinung kund. Kurz: Sie sind durchaus sympathisch. Alles ist gut, alles könnte so bleiben. Doch dann? Irgendwie kommt etwas hinzu, zu dem, was andere normal bleiben lässt. Von allem liegt ein Hauch an mehr in der Luft: Von allem, was eine Frage, eine Meinung, eine Idee, einen Gedanken, einen Rede- und einen Diskussionsbeitrag normal erscheinen lässt – passend zur Situation, zum Prozess, passend zum Inhalt, passend zum Vorwissen, passend zu den Zielen der Veranstaltung, passend zu den Interessen der anderen.
Es kommt etwas hinzu: Die Abweichung, das Andere. Und das hat Ursachen.Diese, die ich meine, haben ausnahmsweise nichts damit zu tun, wie wir unseren Job machen, inhaltlich, didaktisch-methodisch. Diese Abweichungen, das Andere liegen – vorsichtig ausgedrückt – begründet in der menschlichen Art desjenigen, der so ist: In seiner Persönlichkeit, wie sie sich entwickelt hat in den all den zurückliegenden Jahren.
Persönlichkeitstypen im Seminar
Das sitzen Sie nun all die Typen: Die Opportunisten, die Diplomaten, die Experten, die Macher, die Individualisten, die Strategen, die Alchemisten (in: Lange, Roland P.: Corporate Alchemy). Sie lernen und wollen mehr wissen, die Menschen, deren Persönlichkeit zu erfassen und zu verstehen ist mithilfe von Merkmalen und den Dimensionen ihrer Ausprägung; als Gegensatzpaare, beschrieben von C. G. Jung und messbar gemacht von den Damen Myer und Brigg mit ihrem Typen Indicator (MBTI):
extrovertiert – introvertiert (E – I);
wahrnehmend, sinnesbezogen – intuitiv, ganzheitlich (S – I);
denkend, rational – fühlend, wertorientiert (T – F);
entscheidend – hinnehmend (J – P).
Tja, und was nützt uns dieses Wissen? Sollen wir unsere Seminarteilnehmer in Schubladen packen oder sie zuordnen, in Typen klassifizieren? Ja, klar, es würde uns helfen dabei, dass wir uns orientieren, mit wem wir es in welcher Art zu tun haben. Es kommt noch besser.
Die Gruppendynamik
Sie ist nicht allein – die Dame, der Herr.
Eine Dame oder einen Herrn, die etwas anders sind oder mehr brauchen als andere, können wir „leicht“ handhaben: Wir schenken ihnen unsere Aufmerksamkeit. Wir sind sehr achtsam um Umgang mit Ihnen. Wir passen unsere Methodik an. Wir stellen unser Wissen verändert bereit. Wir steuern den Seminarablauf geschickt. Wir gestalten den Prozess. Kurz: wir sind dynamisch und anpassungsfähig.
Doch leider ist sie oder er nicht allein. Sie haben zufälliger Weise eine zweite Person in Ihrer Seminargruppe, die auch etwas mehr von allem hat oder braucht. Auch das schaffen Sie meisterlich, die Situation in den Griff zu bekommen, für die beiden und für alle da zu sein. Noch.
Sie teilen ihre Aufmerksamkeit, nicht: sie teilen sich. Teilen macht Freude, teilen macht Spaß, geteilte Freude ist doppelte Freude. Das gelingt Ihnen. Sie haben es geschafft.Wenn nicht das passieren würde: Es werden ihrer drei.
Die Situation kippt. Die Dynamik entwickelt sich. Sie wird zum Feinsten. Die Damen oder Herren wollen das Seminar „übernehmen“, sie fangen an, Ihre Methoden zu kritisieren, Sie zu kritisieren, andere auf ihre Seite zu bekommen, andere zu beeinflussen.
Die anderen wissen nicht mehr vor und zurück; ihre Augen werden fragend; ein Hauch von Hilflosigkeit legt sich auf die Gesichter.
Liebe Leser, Sie meinen ich scherze? Nee, alles passiert, alles aus dem Leben in Seminaren, Wirklichkeit.
Bitte unterscheiden Sie davon dies: Gern nehmen wir Kritik an und Hinweise/Ideen auf.
Wir verändern, gestalten, passen an – den Stoff, den Inhalt, die Methoden, uns.
Der Unterschied liegt in der Art, wie das passiert und wie wir das erleben: freundlich, höflich, respektvoll, gern auch mit Humor, auf jeden Fall dem Thema, der Gruppe und Ihnen zugewandt, bedingungsfrei, selbstlos, gebend.
Jetzt haben Sie zwei Gruppen. Eine stand auf dem Plan. Diese drei Damen oder Herren bilden eine neue Gruppe. Ich nennen Sie heute und nur hier und mit einem Schmunzeln: Eine Mini-Separatisten-Gruppe. Diese entwickelt ihre eigene Dynamik. Besten Falls ist es genug für eine dieser Damen oder Herren, und sie/er steigt aus. Oder es geht munter weiter, denn Gruppendynamik verführt, lockt und entwickelt ihren eigenen Reiz zum – Weitermachen. Vielleicht bilden sich weitere Mini-Separatisten-Gruppen (das hatte ich allerdings noch nie). Sie kennen den Prozess der Teamentwicklung, die Teamentwicklungsuhr? Ihnen ist das Verhalten von Menschen in Gruppen vertraut? Sie beherrschen es, Einfluss zu nehmen und diesen Prozess von außen zu gestalten? Glückwunsch. Achten Sie auf den Gruppenprozess. Achten Sie auf die Rollen in ihm und auf Ihre.
Werden Sie aktiv – das ist zu tun
Erkennen
Eigene Haltung erkennen, prüfen, verändern
Raum geben, akzeptieren, Gelassenheit entwickeln
Gekonnt die Methoden und das Thema anpassen
Erkennen
Der erste Schritt ist Bedingung für jeden weiteren.
Trainieren Sie Ihre Aufmerksamkeit. Das ist schwer, seine Aufmerksamkeit in einer Veranstaltung jeder einzelnen Person zukommen zu lassen, allen zugleich. Vielleicht 16 Menschen haben Sie vor sich.
Jede Person braucht ihr eigenes Maß und ihre eigene Art an Aufmerksamkeit.
Sie tragen für den gesamten Prozess einen großen Teil der Verantwortung. Sie sind der Leader des Themas, der Kapitän der Methoden. Ihre Aufmerksamkeit ist geteilt, in tausend Richtungen gestreut.
Jetzt kommt unbedingt hinzu: Erkennen Sie in Ihren Menschen gegenüber das Besondere, nehmen Sie Anzeichen für die Abweichung war. Sie sind offen für Symptome, die für alles Mögliche stehen können. Bitte Vorsicht im Interpretieren, im schnellen, im voreiligen. Alles kann – nichts muss sein.
Eigene Haltung erkennen, prüfen, verändern
Tja, wir sind auch nur Menschen. Und manchmal fühlen wir uns gepackt, verletzt, gekränkt, herausgefordert oder vielleiht einfach nur hilflos. Ich z.B. finde es faszinierend, wenn Seminarteilnehmer Berufe haben, die ich für geheimnisvoll halte oder deren Fachgebiet etwas verkörpert, von dem ich selber gern mehr erfahren würde – für mich: Kriminalbeamte, Höhenretter, Germanisten, Historiker. Es wird ein Durcheinander, wenn ich ihnen über das normale Maß hinaus Aufmerksamkeit schenke und dabei die Gruppe verliere, das Thema verlasse. Damit kann eine Dynamik entfacht werden, die ich nur schwer steuern und regeln kann.
Also: Merken was los ist, prüfen, was das mit einem selbst zu tun hat, verändern der eigenen Haltung – erst zu sich und dann zu den Betreffenden.
Raum geben und akzeptieren
Aus der Widerstandbehandlung ist bekannt: wir akzeptieren einen Widerstand und geben ihm Raum. Ganz einfach. In der Motivierenden Gesprächsführung heißt das: Gelassen mit Widerstand umgehen. Er ist da. Das Abbauen funktioniert gerade darüber: Widerstand zulassen, annehmen, akzeptieren. Ein Kampf gegen ihn, verstärkt ihn. Selbst ein Ansprechen verändert die Situation kaum. Also bitte nicht so: „Ah, Sie wollen nicht?“, „Sie sind gegen meine Methode?“
Hier, für das Umgehen mit Typen in Veranstaltungen, einzeln oder in der „Mini-Separatistengruppe“ zusammen agierend gilt daher: Bleiben Sie gelassen. Es hat nichts mit Ihnen zu tun, wenn Menschen in Seminaren sind wie sie sind. Und wenn doch, dann besuchen Sie ein Selbsterfahrungsseminar.
Zuvor verändern Sie die Situation und werden Gestalter des Geschehens.
Gekonnt die Methoden und das Thema anpassen
Sie sind Meisterin oder Meister Ihres Fachs – der Methodik und Didaktik und eben Ihres Themas.
Also: Packen Sie das Thema um, legen Sie Ihre Methoden auf den Prüfstand, arbeiten Sie aktiv mit der entstehenden Dynamik, kämpfen Sie nicht – gestalten Sie. Greifen Sie zu – nehmen Sie die Energie Ihrer Gruppe auf, lenken Sie sie in Aktivitäten um. Nutzen Sie die Potentiale der anderen. Steuern Sie, in dem Sie bei Gruppen- oder Paararbeit bewusst und mit leichter Hand und mit einem Hauch freundlicher Führung die Einteilung übernehmen. Sind Sie mit einer Brise Humor der Kapitän.
Strahlen Sie Sicherheit aus, auch wenn Ihnen im Inneren anders zumute ist – dabei hilft: Freundliches Lächeln. Achtung – von 18 Arten des Lächelns ist das nur eins. Bei dem was ich meine, kommt die Bewegung der Augenmuskeln hinzu – Ihre Lachfalten tanzen.
Genug.
Mir persönlich geht es zumindest in Seminaren kaum darum, Typen zu identifizieren.
Meine Grundsätze sind:
Bekomme einen Eindruck, was los ist!.
Erkenne das Besondere in dem, was jemand will und braucht.
Bleibe positiv in deiner Haltung Menschen gegenüber – die Spiegelneuronen würden alles andere verraten.
Beziehe die ein, die die Energie dafür haben, die wollen und können;Sei Gestalter des Prozesses – entspannt, sicher und gekonnt.
Verurteil dich nicht, wenn es mal danebengeht – lerne selbst daraus.
Viel Freude beim Mit- und Weiterdenken