Sage ich Dir meine Meinung oder gebe ich Dir ein Feedback? - Joachim Hartmann Coach & Trainer
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Sage ich Dir meine Meinung oder gebe ich Dir ein Feedback?

Sage ich Dir meine Meinung oder gebe ich Dir ein Feedback?

Gib es das noch, dass jemand einem die Meinung sagt?
Ist einem die Meinung sagen ein Feedback?
Was ist hier was?
Und wie vermischt sich beides möglicherweise?

Etwas bunt zum Anfang.
Meine 88-jährige Mutter darf herhalten. Sie darf oft herhalten. Sie hat einen Schatz an Lebenserfahrung. Den legt sie gern auf ihren Berg der unbewältigten Dinge.

Exkurs: Abstraktes denken.

Unsere menschlichen Gehirne zeichnen sich durch sehr viele, äußerst viele Besonderheiten aus. Diese ermöglichen unserem Denken, eigenartige Wege zu gehen. Eine dieser Besonderheiten ist, dass es uns schwerfällt, abstrakt denken zu können. Es braucht Übung abstrakt denken zu können. Einige Gehirne werden es schaffen, andere schaffen etwas Anderes.

Unser Denken mag Geschichten. Geschichten kann unser Denken besser verarbeiten, wir können mit ihnen „etwas anfangen“. Geschichten machen das Abstrakte verständlicher.

Daher hänge ich meine Gedanken an die Geschichten meiner Mutter oder meiner Frau. Beide kennen das von mir. Beide finden das ist in Ordnung und sagen: „…wenn es hilft“.

Also meine Mutter. Sie sagt sehr oft, was nicht verwunderlich ist, bei 88 Jahren Lebensalter: „Ich sage jedem meine Meinung.“ Ich entgegne ihr, noch keine 88 Jahre lang: „Von Diplomatie hast du noch nichts gehört?“. Was sie gern quittiert, etwas in sich gekehrt doch tapfer, mit: „Das mache ich schon immer so und wem es nicht gefällt, der kann mich mal.“ Dass sich dadurch der eine oder die andere wie vor den Kopf geschlagen vorkommen kann, interessiert die alte Dame nicht wirklich, leider.

Für die Interessierten unter uns Lesern: Diese eigenwillige Meinung der Dame darüber, dass sie einer anderen Person ungebremst die Meinung sagen darf, ermöglicht uns einen Blick in die Tiefe ihrer Persönlichkeit.

Vielleicht fällt Ihnen als Leserin auf, dass ich mich mit meiner Reaktion nicht im 7. Himmel der Kommunikationskunst befand. Klar, ich schreibe ja auch einen Blog-Beitrag, der etwas illustrieren soll. Realpraktisch darf ich mich dann schon einmal mit der Kritik meiner Ehefrau auseinandersetzen. Gegenüber der alten Dame werde ich dann samtweich.

Exkurs: 5 bis 6 positive Interaktionen.

Samtweich bedeutet für mich in diesem Fall: Positive Interaktion. Interaktion beschreibt, dass wir Menschen uns wechselseitig in unserem Handeln beeinflussen wollen. In diesem Fall – positiv.

5 bis 6 solcher positiven Handlungen schiebe ich in den Kontakt mit einer Person.

Genau dann, wenn ich annehme, dass mein vorheriges Tun oder Verhalten eine Kränkung, eine Beleidigung, eine Verärgerung oder sonst welche unangenehmen emotionalen Zustände bei ihr aktivierte.

Mein Gesprächspartner fühlt sich einfach nicht mehr gut, oder – eine andere Seite des Emotionalen – er kann für sich die Sache hinter meiner Aussage nicht „fassen“, nicht in sein Verständnis des Vorgangs einordnen. Gesagt wird dann oft: „Ich verstehe dich nicht.“

Der Inhalt des Augenblicks einer Situation verschließt sich ihm.

Die Wissenschaft hat festgestellt, zumindest bei der Untersuchung der Kommunikation in Hochleistungs-Teams, dass eine negative Interaktion mit 5,5 positiven wieder ausgeglichen, abgebaut, harmonisiert, bereinigt werden kann.

Darüber hinaus wird das nicht mehr als positiv wahrgenommen. Wird die Anzahl der positiven Interaktionen noch größer, kippt es, einer Schleimspur ähnlich, ins Unangenehme.

Positiv sein verlangt dann z. B. viel Fachexpertise, gütigen Sachverstand oder eben sehr viel Einfühlungsvermögen. Beides geht auch zugleich, ist wohl abhängig davon, wie wir selber ticken, also von unserer Persönlichkeit (Sie, lieber Leser, dürfen auch Charakter sagen).

Wenn Sie es gern einfacher haben wollen: Gesunder Menschenverstand hilft oft auch.

Positive Interaktion ist natürlich abhängig von der sich entwickelnden Gesamt-Situation.

Auch davon, ob mein Gegenüber meine positiven Informationen (also die Interaktion) aufnehmen und annehmen will und kann.

Gleichzeitig ist es für mich hilfreich, zu wissen, was bei dem Gegenüber als positiv wahrgenommen und akzeptiert wird. Selbst das beste Einfühlungsvermögen braucht Kenntnis darüber, wie ein Jemand tickt – also denkt und fühlt, was sein Verhalten motiviert. Sonst wird es richtig schwer, aus der „verunglückten Kommunikation“ herauszukommen.

Beispiele dafür, was ich mit positiver Interaktion meine

  1. Selbstverständlich das: „Ich bitte um Verzeihung!“
  2. Ein Miss-Verstehen einräumen: „Sorry, ich bin Dir/Ihnen ins Wort gefallen, wie meinten Sie das?“
  3. Das Überlenken, auch Ablenken zu etwas, wo ich genau weiß, mein Gegenüber geht es gut damit: „Was haben Sie heute noch vor?“
  4. Die Hinwendung zu einem positiv besetzten Erlebnis: „Ich hörte, Sie waren gestern im Kino?“
  5. Manchmal hilft schlicht ein Stück Schokolade, eine Tasse Tee, ein Glas Wasser, ein Kaffee.
  6. Etwas tun für den anderen, was genau in dieser Situation demjenigen sehr zugute kommt.

Jemanden die Meinung sagen. Sie merken, wie schnell das richtig kompliziert werden kann.

Doch wer will es schon immer so kompliziert?

Bis hierher ging es um die Frage, habe ich ein Recht darauf, jedem immer und ständig die Meinung zu sagen. Schlicht: darf ich meine Meinung sagen?

Ja und nein.

Es kommt sicherlich auf den Kontext an, auf den Zusammenhang der Begegnung, auf das „weshalb sind wir zusammen gekommen“?

Der Versuch einer Einordnung „Wann sage ich jemanden die Meinung“

  1. Die zufällige Begegnung

Ich finde es unhöflich, wenn mir jemand während einer – z. B. vergnüglichen Abendveranstaltung – unaufgefordert seine Meinung sagt zu etwas, was er an meiner Art die Welt zu sehen, unmöglich findet. Es kann dann schon vorkommen, dass ich über mich hinauswachse und demjenigen sage: „Ich finde es reichlich unhöflich, dass sie mir ihre Meinung aufdrängen, obwohl ich sie nicht darum gebeten habe.“ Das passierte wirklich genauso vor einem Jahr.

Fazit für die zufällige Begegnung

Bei einer zufälligen Begegnung halte ich mich sehr zurück, jemanden ungefragt meine Meinung zu sagen.

Ich würde mir das O.K. einholen wollen vom Gegenüber, seine Erlaubnis, ihm die Meinung zu dürfen, wenn ich das, aus welchen Gründen auch immer, will.

Doch kann das bei einer zufälligen Begegnung schon ein Akt des Unmöglichen werden.

Aktuell: Covid19 und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes

Sage ich der Dame und dem Herrn, die beide in die Straßenbahn steigen und keinen Mund-Nase-Schutz tragen, dass sie diesen anlegen sollen?

Sie können das gern diskutieren.

Ich habe meine Position – die wird am Ende dieses Beitrags stehen.

  1. Ein Meeting, eine Diskussion – also eine Begegnung, wo eine „Beziehung trägt“ und ein sachlicher Zusammenhang verbindet

Es wird etwas komplizierter.

Ja, eindeutig ja.

Ich bin geneigt einem Kollegen, einer Mitarbeiterin die Meinung zu sagen.

Es gibt einen vereinbarten Kontext, ein Thema, einen konkreten Anlass und das verbindet.

Es gibt eine Arbeitsbeziehung, die auch eine menschliche Seite neben dem reinen sachlichen Teil der Arbeit hat. Und das verbindet auch, das kann ich belasten, in dem ich eine Meinung zu einer Sache habe.

Ich trenne allerdings die Sache von der Beziehung, von der menschlichen Art, von der Art der Persönlichkeit. Ich bleibe absolut nah an dem sachlichen Grund unseres Zusammenseins. Ich werde sagen können, dass ich eine andere Meinung habe, ob wir einen neuen Kunden gewinnen wollen oder den alten besser pflegen, ob wir uns in die eine Richtung entwickeln wollen als Unternehmen, als Verwaltung oder in die andere Richtung.

Nein, eindeutig ein Nein.

Ich werde es nicht tun. Es kann ja sein, dass der Mensch mir gegenüber in dieser Situation dann doch zu sehr in seiner persönlichen Art, das Leben zu leben gefangen ist, als dass er das Sachliche von der Beziehung trennen kann, wie es notwendig sein sollte, streitet man sich um Meinungen wegen der Sache.

Zu oft hörte ich „… bleiben sie sachlich“. Und ich vermute, dass darin eben das mitschwingt, was uns Menschen von den Robotern unterscheidet.

Genau in einem solchen Moment werde ich mir nicht das O.K abholen, meine Meinung zum Besten geben zu dürfen. Es kann gut sein, dass ich ein Ja erhalte und zugleich dieser Mensch daran scheitert, etwas Sachliches zu hören, weil er es zwar hören will, doch auf einer „inneren Ebene“ seiner Person dann doch „persönlich nimmt“. Da wäre er dann wieder, der Mensch mit seiner Persönlichkeit und seinen Ausprägungen, den Akzentuierungen.

Ja und Nein zugleich

Abwägen. Meistens wird es so sein, dass wir abwägen.

Meine Faustformel dafür lautet:

Will ein Jemand meine Meinung hören und wenn ja, besitzt dieser Mensch zugleich die Fähigkeit, diese als Mensch anzunehmen und diese fachlich, sachlich zu verarbeiten.

Kurz: Will und kann mein Gegenüber meine Meinung anhören, annehmen, verarbeiten.

Erst dann folgt meine Entscheidung für ein Ja oder ein Nein.

Hier steckt meine Position verborgen drin zum Thema „Weise ich eine zufällige Person auf das Nicht-Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes hin.“

Abwägen.

Das Feedback

Sie werden es bemerkt haben, der Übergang zu einem Feedback kann fließend sein.

Feedback in der menschlichen Kommunikation meint doch vor allem, dass wir jemanden darüber informieren, wie sein Aussage bei uns ankam. Wir geben eine Rückmeldung dazu, was wir wahrgenommen haben, was wir verstanden haben oder auch wie das Verhalten auf uns wirkt. Feedback, die Rückmeldung wird zu etwas sehr Normalen, Alltäglichen. Es wird bewusst oder unbewusst eingesetzt oder wahrgenommen.

Menschlich notwendig. Erfahrung – ob als Wissen oder als Fähigkeit – wird sich nur aufbauen, wenn wir rückgemeldet bekommen, wie das, was wir tun, bei einem anderen ankommt, auf ihn wirkt, hilft uns das, einen Erfahrungsschatz aufzubauen.

Noch mehr zum Thema Feedback geben und nehmen hebe ich mir für einen nächsten Blog-Beitrag auf. Ich ende heute mit einem Cliffhänger. Fast.

Auf den Punkt gebracht: Wann sage ich jemanden meine Meinung?

Ja – ich wäge ab. Meistens.

Ich irre mich ab und an mit meinen Entscheidungen.

Doch irrte ich mich, was zu erleben ist, durch die Rückmeldung des Gegenübers, dann korrigiere ich mich, wenn ich dazu von meinem Gegenüber eine Gelegenheit, eine Chance eingeräumt bekommen. Das aufzudröseln ist wieder ein anderes Thema. Beim nächsten Mal.